Ich habe Sex mit vielen Menschen und schäme mich nicht dafür!

Hi, ich bin Annik, 25, Single, lebe in Berlin und habe ein aktives Sexualleben. Das würde ich schon so sagen, leider findet die Gesellschaft das immer noch ziemlich problematisch. Als Frau habe ich, so scheint es, nicht das Recht mich auszuprobieren, Spaß zu haben und mir auszusuchen mit wie vielen Menschen ich in diesem Monat, Jahr – sagen wir, über mein Leben verteilt Sex haben will.

Kennst du deine Zahl?

Ihr kennt sie alle, die Liste. Die unsägliche Liste, die alle meine Freundinnen inklusive mir angefangen haben. Auf ihr? Die Namen und vor allem die Anzahl, der Personen mit denen wir geschlafen haben. Manchmal nicht mal Namen, weil uns die nicht mehr eingefallen sind, sondern der Ort, wo wir sie kennen gelernt haben, was sie anhatten oder ein anderes markantes Merkmal wodurch wir sie identifizieren. Beispiele: Indicator-Boy, Fand-Pantoffeln-blöd-Typ und Macht-irre-nicen-Kaffee-girl. Die Namen habe ich manchmal einfach vergessen – da bin ich nicht so gut drin.

Diese Liste haben meine Freundinnen und ich mal bei einem Glas Wein angefangen. Komplett wurde sie da aber nicht. Noch nach Tagen habe ich Namen nachgetragen und da fiel es mir auf. Immer wenn ein neuer Name aufploppte hörte ich mich selber in meinem Kopf sagen: “Oh wow, noch einer.”. Ich habe mich dafür geschämt, je mehr Namen auf dieser Liste standen und gleichzeitig hat mich die internalisierte Scham so wütend gemacht, diese Zahl sagt schließlich nichts über mich aus. Während ich bei meinen Freundinnen wirklich nicht weniger darauf geben könnte, was ihre Zahl ist, komme ich bei mir nicht drauf klar.

Sex ist Übungssache

Ich verurteilte mich selbst bis zu einem ganz bestimmten Abend. Ich hatte Sex mit einem Mann. Es war wirklich gut und ich sagte ihm das auch. Seine Antwort:”Ja, das liegt an jahrelanger Übung.”. Die Zeit, die ich mir also den Kopf darüber zerbreche, was andere Menschen von mir denken, hatte dieser Mann, die Wagnis, die gleichen Erlebnisse als “Übung” zu betiteln.

Das war mein Wendepunkt. Da fiel der Groschen, dass – again – das Patriarchat mich beschämte für ein Verhalten, was sich für Frauen* nicht schickt. Der Ursprung dieses Problems? Ich gebe der Jungfrau Maria die Schuld. Naja gut, nicht direkt ihr, aber zumindest ihrer Figur, ihrem Sinnbild. Diese reine Frau, die es schafft alle Pflichten zu erfüllen und dabei auch noch Jungfrau zu bleiben. Nicht nur, dass sich danach jahrelang Menschen ein Vorbild daraus gemacht haben, es wurde zu einer gesellschaftlichen Regel, dass Frauen mit so wenig wie möglich Menschen in ihrem Leben Sex haben. Solange bis sie die eine Person finden, der sie sich “schenken” dürfen.

Mit dem Gedanken der Jungfräulichkeit (weshalb das quatsch ist, erfahrt ihr hier) kommt auch die Reinlichkeit. Es herrscht nicht umsonst der Begriff “beschmutzt”. Während Männer* also durch viel Sex Erfahrungen sammeln und sich als Single dann damit brüsken dürfen,  bleibt den Frauen eine Betitelung: dreckige Schlampe. Ja, das hab ich in meinem Leben oft genug gehört. Die Sexualität von Frauen, wie mir wird also nicht nur unterdrückt oder nicht öffentlich besprochen, sondern auch noch beschämt und verurteilt.

Leb es aus

Kein Wunder also, dass ich mich mit meiner Personen-Liste zunächst “dreckig” gefühlt habe. Meine Nummer habe ich übrigens bis heute nicht klar herausgefunden. Inzwischen ist sie mir aber auch egaler. Viel wichtiger sind mir die Begegnungen selbst, was ich auch versuche durch das Erinnern von Namen deutlich zu machen. Meine Einstellung zu meiner Zahl konnte ich also ändern. Viel wichtiger ist aber noch, dass wir die Einstellung von denen Gegenüber ändern. Eine Freundin erzählte mir vor kurzem, dass ein Mann sie als “unattraktiv” bezeichnete, nachdem sie ihm sagte, sie hätte eine lose FreundschaftPlus mit jemandem. Der Grund: Sex ohne Beziehung. Als Frau.

Was ich mit diesem Artikel vor allem möchte ist Mut zu machen. Ich hatte so viel Angst davor, was Leute (Männer) denken, wenn sie meine Zahl erfahren. Letztendlich hat sich aber nie etwas verändert, wenn ich offen mit meinem Sexleben umgegangen bin. Weder in meinem beruflichen noch meinem privaten Kontext kam je eine abfällige Bemerkung. Diese Angst davor ist aber auch Teil der internalisierten Scham, denn natürlich musst du die Konsequenzen deines unsittlichen Handelns vor Augen haben: Ausgrenzung, Beleidigung und Verachtung und Oh, ja du könntest dadurch für immer Single bleiben müssen.

Ich würde meine Zahl bis heute nicht an eine Plakatwand mitten in der Stadt schreiben, aber von der Scham konnte ich mich befreien. Und wie der gute David schon sage: “I am looking for Freedom”. Ich geb’s zu, es ist etwas abgeändert, aber der Punkt wird klar: Sexualität von Frauen gehört befreit. Zuallererst mal von dir selbst.