Wir müssen reden

Im Supermarkt sprechen die Produkte neuerdings „wacky“ und sie tun es auf ihrer Verpackung, dem Packaging. „Wie auch sonst?“ fragt man sich als aufgeklärter Verbraucher, der zugleich ein wenig erschrocken ist, bei aller konsumkritischen Griesgrämigkeit den Trend des „Wackagings“ fast verpasst zu haben. Vielleicht ist es allerdings auch gar kein infantiler Trend, sondern nur die kunstvolle Verdichtung aller lustigen beschrifteten Verpackungen.

Die neue Niedlichkeit darf natürlich nicht unschuldig albern sein, was im Regal steht, ist knallharter Kapitalismus oder noch viel schlimmer: Cupcake-Fascism. Das liest sich gut, wobei die Überdosierung von Faschismusvorwürfen möglicherweise auch für eine gewisse Antibiotikaresistenz sorgt.

Vielleicht braucht man aber einfach eine knackige Arbeitshypothese. Zum Beispiel für die Bachelorarbeit: „Waschmittelwerbung der 1970er als Abbild der deutschen Kollektivschuld“. Es gab prominente Werbespots mit Frauen, die – ausgelöst durch das Jammern ihrer Kinder über kratzige Frotteehandtücher – als ihr eigenes schlechtes Gewissen neben sich selbst traten und sich fragten, ob eventuell nicht alle Weichspüler gleich sind. Oder eine sogenannte Freundin, die beim Kaffeekränzchen ganz beläufig ein sanitäres Hygieneproblem anspricht. Ihre Gesprächspartnerin ist in diesem Moment ein mentales Wrack und ihr Gegenüber holt zum letalen Schlag aus: „Ja, sauber ist es schon, aber ist es auch kristallrein?“.

Die Produkte mussten damals noch gar nicht selbst sprechen, weil die Werbeblöcke noch Einschaltquoten hatten, die heute nicht mal eine bemannte Marslandung erreichen würde. Eine passiv-aggressive Tilly, die die Hände unschuldiger Frauen in grünen Glibber mit natürlichem Protein drückte, konnte zum Superstar werden und der Gilb oder der Gardinen-Eumel waren Gesprächsthema auf dem Schulhof.

Heute alles undenkbar. Unsere Gesellschaft nutzt viele Informationskanäle, ist sehr heterogen und viel bunter als die AfD erlaubt. Es gibt im Supermarkt alles für jeden, Pflegeprodukte für Haarproblematiken, die noch vor kurzem undenkbar schienen und eine Handvoll sprechender Produkte. Wacky verpackt, mit einer Sprache, die einige Leute kaufen, deren Nerv das trifft.

Zurück zum Faschismus: Viel schlimmer ist doch die schweigende Mehrheit. Produkte, die richtig etwas zu erzählen hätten. Koteletts mit schlimmer Kindheit oder Eier, denen selbst die schlimme Kindheit nicht vergönnt war. Pizzen, auf deren Verpackung ein dicker Koch riesige Tomaten zerteilt, könnten die Geschichte vom Teigfladen-Förderband erzählen, an dessen Rand ein trauriger alter Mann mit Hygiene-Haarhäubchen seit Jahrzehnten im Akkord die schwarze Einzelolive auflegt. DAS wäre nämlich nicht schön. Der Supermarkt wäre ein einziges trostloses Gewisper von Geschichten. Wie wohltuend, wenn in dieses Produkte-Drama ein Smoothie plötzlich mit brüllend guter Laune ein ordinäres Wort ruft.

Die wirkliche Gefahr – und dann freuen wir uns wirklich auf einen beißend kritischen Text – lauert längst in den Laboren des Shopper-Marketings: Produkte, die nicht ein bisschen kalauern und auf ihrer Verpackung sprechen, sondern die Konsumenten mit einer echten Stimme aus dem Regal anquatschen. Redende Würstchen, zuprostende Weinflaschen und gackernde Gürkchen. Spätestens diesen Trend wird Einhorn als Kondom-Hersteller nicht mehr mitmachen. Wir haben einfach zu viel Angst, dass sich unsere Produkte auch während der Benutzung mit dummen Ratschlägen ins Geschehen einmischen.

Gastbeitrag von Peter Breuer 


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