Auf dem Weg zu einem fairen Gehalt sind Tränen geflossen, wir haben Fehler gemacht und am Ende haben wir viel über Fairness gelernt.
August 2016, irgendwo in Brandenburg
einhorn ist ca. 1,5 Jahre alt, 10 Mitarbeiter groß und noch nicht profitabel. Statt der üblichen Ausgelassenheit steht Anspannung im Raum. Es geht ums Gehalt. Wir legen den einhorn Kontostand für alle offen, woraufhin jeder sein Wunschgehalt nennt. Als das raus ist, fühlen wir uns nackt.
Aber im Vergleich zu dem, was in den nächsten Jahren folgen wird, ist das noch ein Leichtes. Alle haben den Kontostand im Hinterkopf, keiner äußert übertrieben hohe Gehaltserhöhungen und jeder kann die Zahl des anderen nachvollziehen. Am Ende bekommt jeder sein Wunschgehalt. Außerdem war es auch aufregend, denn es war das erste mal, dass wir uns die Frage stellten: Was ist ein faires Gehalt und was denken die anderen darüber? Wir beschließen, in 6 Monaten nochmal das Gleiche zu tun. Spoiler: wir tun es nicht.
Anspannung am Strand
6 Monate später, irgendwo in Malaysia. Wir sind jetzt 16 Leute und einhorn geht es finanziell gut. Nach einer kurzen Abstimmung ist klar, dass wir nicht das Gleiche machen wollen wie beim letzten Offsite. Vielleicht ist weil die Angst zu groß, dass jetzt jeder einfach in den Geldtopf greift, um am Schluss nicht als “der Dumme” dazustehen.
Wir entscheiden uns nach einem Brainstorming für ein Grundgehalt plus Kriterien – ein System, das bis zum nächsten Offsite erarbeitet werden soll. Für dringende Gehaltswünsche, beschließen wir zusammen eine Erhöhung.
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Obwohl die Kulisse malerisch ist – wir sitzen im Schneidersitz in der Abendsonne am Strand – ist die Anspannung diesmal höher als beim letzten Mal. Es gibt noch zu viele Fragen. Wie kann das System konkret aussehen? Wer definiert Kriterien? Und wie schlägt sich das im Gehalt nieder? Keiner wusste wie es weiter gehen soll.
Dann eben Stuhlkreis
Juni 2017 – die Gehaltsreise geht weiter. Wir sitzen im Stuhlkreis mit Nabil, Kommunikationsexperte von the Dive. Ziel dieses Offsites ist kein konkretes System sondern wir wollen noch mal einen Schritt zurück und erst mal herausfiltern, welche Ängste und Wünsche mit Geld im Allgemeinen und mit Gehalt im Besonderen verbunden sind.
Wir sind uns alle ziemlich einig: Gehalt hat viel mit Wertschätzung zu tun, es soll eine Perspektive bieten, Talente anlocken, bei überraschenden Sonderausgaben Sicherheit bieten und – interessanterweise vor allem von den weiblichen einhörnern geäußert – finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen.
Aber es gibt auch Sorgen. Zum Beispiel, dass die Unterschiede in den Gehältern zu groß sein könnten, dass man sich im System nicht wieder finden würde, dass Gehaltsverhandlungen ein Kampf sein würden oder dass sich einhorn zu einem Selbstbedienungsladen entwickeln könnte.
Wir fühlen uns besser, nachdem das alles gesagt ist.
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Demokratie?
Mit den Wünschen und Ängsten im Hinterkopf wollen wir jetzt Antworten finden. Doch fehlt Waldemar und mir – wir hatten uns bisher dem Thema angenommen – die Legitimation tatsächlich Geldbeträge zu definieren. Also wählen wir unseren ersten einhorn Gehaltsrat.
Jeder der 18 einhörner kann sich zur Wahl aufstellen. Der Rat wird aus drei Personen bestehen, eine davon soll ein Gesellschafter sein, der die langfristige Perspektive im Blick hat. Die Stimmung ist gut, die Wahl läuft unkompliziert ab und die Positionen sind schnell besetzt. Waldemar, David (Logistikhorn) und ich treffen uns in den nächsten Wochen oft, brainstormen, diskutieren und erarbeiten endlich ein System.
Und wie sieht das jetzt aus?
Das Wichtigste im Überblick ( Hier auch noch die Details. Vorsicht: lang, ausgiebig und langweilig):
- Gedeckelt: Höchste Gehalt darf nur max. dreimal so hoch wie das niedrigste sein
- Am Ende transparent für jeden einsehbar
- Das Gehalt ist ein Baukastensystem:
- Grundgehalt (1700 netto) für jeden plus
- Modul A) Beachtung persönlicher Lebensumstände (z.B. Pflege von Angehörigen & Pro Kind 400€ netto mehr)
- Modul B): Ausbildung/Arbeitserfahrung
- Modul C): Rolle bei einhorn
Bei dem dritten Modul (Rolle bei einhorn) hatten wir noch viele Fragezeichen. Wer beurteilt die Leistung? (Waldemar und Philip kommen ja als Nicht-Chefs nicht in Frage) Das Team? Und nach welchen Kriterien geht man überhaupt vor? KPIs haben und wollen wir ja nicht. Und zählen für alle im Team die gleichen Kriterien oder ist es nicht gerade gut, wenn man ganz unterschiedliche Stärken in den Teams hat? Und wenn es so viele unterschiedliche Werte gibt, wie kann man diese dann überhaupt vergleichen?
Wir haben uns entschieden, die Bewertung dieses Punktes jedem selbst zu überlassen. Jeder kann Kriterien für sich selbst festlegen und stuft sich in festgelegten Rahmen selbst ein.
Endlich haben wir ein System. Und es fühlt sich gut an.
Der Stresstest
Jetzt stehen Einzelgespräche an. Schließlich muss das neue System in die Tat umgesetzt werden. Teilweise waren die Gespräche absurd. Zum Beispiel als wir mit Philip, also dem Gründer, da sitzen und ihm erklären, wo er gemäß dem System gehaltsmäßig landet. .
Insgesamt waren die Gespräche anstrengend, für beide Seiten. Viele Fälle sind Sonderfälle und gerade die Selbsteinstufung fiel den meisten schwer. Anscheinend fühlt es sich für die meisten fair an, wenn sie ähnlich viel wie eine vergleichbare Person im Team verdienen. Das schien oft wichtiger zu sein als der eigentliche Geldbetrag, der am Ende auf dem Konto landet. Und das, obwohl wir keine klassischen Hierarchien haben. Man braucht für die gute Selbsteinschätzung also den Vergleich zu anderen.
Trotzdem verlassen die meisten einhörner das Gespräch mit einem guten Gefühl. Viele Gehälter wurden erhöht.
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Wir beschließen einstimmig, die Ergebnisse intern zu veröffentlichen. Jeder weiß, wie viel der andere verdient und wer sich wo eingestuft hat. Das System wird gemacht. So gut.
Bis zu den nächsten Gesprächen wollen wir noch an der Feedbackkultur arbeiten, sodass entweder die Selbsteinstufung oder aber die Einstufung durch das Team so gar kein Problem mehr ist. Außerdem wollen wir noch einen Baustein hinzufügen: Gewinn-/Unternehmensbeteiligung.
Noch ein Rat?
Während der Gespräche und Diskussionen fragen wir uns immer wieder, ob das neue System uns glücklicher macht. Geld ist ja auch nur Mittel zum Zweck. Deshalb gründen wir zusätzlich zum Gehaltsrat gerade einen Happynessrat. Der kümmert sich dann darum, dass wir uns nicht mehr um nervige Dinge kümmern müssen wie z.B. die Steuererklärung. Hält aber auch Ausschau nach schönen Sachen: Ausflüge, einer Dachterasse fürs Büro oder Zauberworkshops oder oder oder.
Mein Fazit: Anstrengend aber es lohnt sich
Auf der Gehaltsreise habe ich viel gelernt. Oft sind wir einfach drauf losgelaufen ohne uns wirklich Gedanken zu machen. Mit guten und schlechten Ergebnissen. Wir hätten zum Beispiel das System schon vor dem ersten Offsite etablieren sollen und nicht komplett frei bestimmen lassen. So mussten wir zurückrudern und das fühlt sich nie gut an.
Ich habe auch gelernt, wie wichtig Dialog gerade bei diesem Thema ist: Es gibt kein richtig und falsch, wenn es um das Gehalt geht. Was Fairness heißt, darüber gibt es viele unterschiedliche Ansichten. Es ist wichtig, sich über die verschiedenen Perspektiven auszutauschen, das ganze Team einzubeziehen und offenzulegen, mit welchen Entscheidungen man hadert. Ein faires Gehalt ist schwierig, da sind viele denkende Köpfe gut. Außerdem sollte man es nicht schleifen lassen und immer wieder über den aktuellen Stand informieren. Das Thema ist sensibel und zu zeigen, dass es ernst genommen wird, schafft Vertrauen.
Auch, wenn der Weg bis hierher anstrengend war, glaube ich, dass es der richtige ist, wenn wir ein Unternehmen auf Augenhöhe möchten. Wir schaffen eine Basis für Vertrauen und beziehen alle in wichtige Entscheidungen mit ein. Warum sollte man das Team bei dem sensibelsten Thema außen vor lassen? Und außerdem: was sind die Alternativen: Vier-Augengespräche und Flurfunk? Nicht-nachvollziehbare Entscheidungen von Chefs? Gleiche Arbeit aber ungleiche Gehälter? Für uns sind das keine Alternativen.
Carlos von Hülsen
Sehr spannend, finde ich! Demokratische Gehaltsfindung funktioniert. Meine Erfahrung damit ist, das solche Systeme mit wachsenden Organisationen verständlicherweise immer schwieriger werden. Irgendwann bedarf es dann weiterer systematisierender Elemente und Gehaltsmanagement Werkzeuge. Euer Gehaltsrat ist auch ein erster guter Schritt. Marktwerte für Vergütung können z. B. noch eine externe Perspektive ergänzen.. Aber die Grundthematik interne Gerechtigkeit und Leistung nachvollziehbar und fair zu regeln bleibt natürlich. Ich vermute, wenn Ihr mehr als 25 werdet, spätestens ab 50 MA wird die Herausforderung eines solchen Mikromangements sehr gross. Bin gespannt mehr von Euch zu hören. Beste Grüße Carlos (Vergütungsberater bei Kienbaum€