Latex is for lovers: Der lange Weg in eine offene Beziehung

Illustrierte Abbildung der Kautschuk-Lieferkette von einhorn products GmbH

Als einhorn 2014 ins Leben gerufen wurde, war nur klar: Unsere Kondome bestehen aus Naturkautschuk und werden in Malaysia bei Richter Rubber produziert. Der Anspruch war aber größer – fast größenwahnsinnig. einhorn Kondome sollten das most fairstainable Kondomauf dem Markt werden. Nur stand der Idee eine große Hürde im Weg: Die traditionelle Kautschukindustrie. Wir haben uns der Herausforderung angenommen.

Und zwar erst einmal mit einer Menge Fragen. Wie funktioniert eigentlich Kautschukanbau? Welche Herausforderungen bringt er mit sich? Und wie sieht’s in unserer Lieferkette aus? Nach wochenlanger Lesarbeit, hat unser Fairstainabilityhorn Linda 3 Monate auf einer Plantage in der Lieferkette unseres Kondomherstellers Richter Rubber verbracht, um Antworten zu finden und die lokalen Bedingungen durch die dort arbeitenden Menschen kennenzulernen.

Die Learnings waren ernüchternd. Kautschuk wächst auf über 12 Millionen ha rund um den Äquator (im Vergleich. Palmöl auf ca. 14mil ha). Leider wird der begehrte Rohstoff meist in Monokulturen unter regelmäßigem Herbizideinsatz angebaut, was einen massiven Eingriff in die Artenvielfalt der Anbauregionen bedeutet. 

Neben den ökologischen Problemen gibt es auch soziale Herausforderungen: ca. 85% des Anbaus findet in kleinbäuerlichen Betrieben statt. Verkauft wird meist an Zwischenhändler*innen, der Preis fluktuiert täglich, sodass die Kultivierung von Kautschuk nicht zwingend wirtschaftliche Sicherheit für die Plantagenbesitzer*innen bedeutet.

Anbau in Monokulturen und wirtschaftliche Unsicherheit: Keine guten Voraussetzungen für Fairstainability. Doch zum Glück fing die Reise gerade erst an und wir konnten uns mit spannenden Menschen verbinden, die sich ebenso für die nachhaltige Mission einsetzen.

Die besten Partner*innen, die wir uns hätten wünschen können

Prof. Dr. Sara Bumrungsri umarmt einen Kautschukbaum in Thailand

 

Ein glücklicher Zufall (und eine Tagung zum Thema Latex) führte Linda mit Prof. Dr. Sara Bumrungsri zusammen, der seit Jahren zu Agroforstsystemen im Latexanbau forscht. Pionier*innen in Südthailand hatten bereits vor geraumer Zeit damit begonnen, andere Baumarten und Nutzpflanzen auf ihren Plantagen anzubauen und Zwischenwuchs nicht mehr mit aggressiven Chemikalien zu beseitigen. Dadurch boten die Flächen wieder Platz für andere Arten, die Böden wurden gesünder, Erosion setzte den Plantagen nicht mehr so zu, andere Wetterextreme konnten besser verarbeitet werden und die Bäuer*innen erschlossen weitere Einkommensquellen. Der Latex von diesen Plantagen landete aber weiterhin bei Zwischenhändlern, die ihn vor dem Verkauf mit Monokulturlatex mischten. 

Wie konnte also unsere Vision mit der Realität in Einklang gebracht werden? Es musste ein transparentes System ohne Zwischenhändler*innen her, das es ermöglicht die Bäuer*innen fair zu vergüten, d.h. ihnen auch eine Prämie für den aufwändigen Anbau im Agroforstsystem auszuschütten. 

Gemeinsam mit Gaga, einer ehemaligen Studentin Dr. Saras, Sudthida, einer Latexaufbereiterin, die sich bereit erklärte, den Agroforstlatex separat zu verarbeiten, und weiteren Partner*innen entwickelte Linda ein passendes Konzept. Es entstanden Richtlinien für den Agroforstanbau, die die Bäuer:innen gegenseitig verifizieren mussten, ein sogenanntes Participatory Guarantee System, eine selbst organisierte Sammelstelle, kooperative Strukturen, die es den Bäuer:innen ermöglichte, selbst den Kautschukgehalt ihres Produktes zu bestimmen und somit die ihnen bezahlten Preise nachzuvollziehen bzw. auch anzufechten. Die Zwischenhändler*innen konnten so umgangen werden. Richter Rubber in Malaysia erklärte sich bereit, gemeinsam mit einhorn eine Abnahmegarantie zu leisten, was letzten Endes die Weichen dafür stellte, dass 2020 der erste Agroforstlatex in die einhorn Kondome floss. 

Damit hatten wir praktisch unsere Fairstainability Mission vollumfänglich erfüllt und endlich sozial- und umweltverträglicheren Latex für unsere Kondome gesourct. Aber ihr erinnert euch an den eingangs erwähnten Größenwahn. Warum aufhören, wenn es am Schönsten ist? Und so stürzten wir uns direkt ins nächste Abenteuer. 

Von Pioniergruppe…

Wir hatten es also geschafft: 30 Bäuer*innen, 1 Latexaufbereiterin, 1 Kondomhersteller und eine Kondommarke in Deutschland, die zeigten: Es ist möglich durch den Aufbau von starken Beziehungen und Vertrauen auch in direktem Kontakt mit Kleinbäuer*innen, an einer fairen und nachhaltigen Kautschuklieferkette zu arbeiten. 

Gemeinsam mit dieser Erkenntnis stellte sich aber auch direkt wieder Ernüchterung ein. Mega cool, dass wir da jetzt so geilen Premium Latex, 100% single origin in unseren Kondomen haben, aber es gibt ja noch viel mehr Bäuer*innen, die so nachhaltig wirtschaften, aber keinen Marktanschluss haben. Und es ereilten uns immer wieder Berichte von Bäuer:innen, die aufgrund des finanziellen Drucks und in Ermangelung eines engagierten Nachwuchses entweder ihre Plantagen ganz aufgaben oder wieder die weniger aufwendige Monokultur wählten. Aber wie konnten wir als Latexzwerg (85% der weltweiten Latexproduktion landet immer noch in Autoreifen) dafür sorgen, dass so viel Agroforstlatex abgenommen wird, dass mehr und mehr Bäuer:innen davon leben könnten?

Nach reichlichen oder – wie wahrscheinlich die meisten Berater*innen behaupten würden – unausgereiften Überlegungen, beschlossen wir, unseren USP auch anderen zugänglich zu machen, unsere Beziehung zu den Agroforstbäuer*innen zu öffnen. Gemeinsam mit unseren Partner*innen riefen wir die Regenerative Rubber Initiative (RRI) ins Leben, die es fortan auch anderen Kondommarken ermöglichen sollte, Agroforstlatex für ihre Produkte zu beziehen. Und siehe da – das Angebot wurde angenommen. Weitere Kondommarken wurden Teil der RRI und bieten seitdem Kondome aus Agroforstlatex an. Auch auf Bäuer*innenseite wuchs das Projekt. Aktuell zählen die Kooperativen in 131 Mitglieder. 

…zu gefestigten Strukturen?

Treffen der Regenerative Rubber Initiative

 

Trotz des Zulaufs existierte die RRI allerdings weiterhin nur in den Köpfen ihrer Schöper*innen. Es gab keine formelle Organisation. Das System basierte auf dem Vertrauen, das sich alle Partner*innen entgegenbrachten. Einzig in Thailand etablierte sich eine Institution, die fortan die Betreuung der RRI Latexlieferkette übernehmen sollte. Gemeinsam mit weiteren Mitstreiter:innen aus Wissenschaft und Industrie gründete Gaga die Rubber Agroforestry for Sustainability Foundation (RAFS). Die Stiftung kontrolliert nun die korrekte Ausschüttung der Prämien, unterstützt die Bäuer*innen in der Ausführung des Participatory Guarantee Systems, organisiert aber auch Workshops und trägt Erkenntnisse aus der Agroforstforschung in die Gruppen. 

Bei unserem letzten Besuch in Thailand stand nun die Frage im Raum, ob es die RRI als Konstrukt überhaupt noch benötigte, da sich die Prozesse in Thailand entsprechend formalisiert hatten. Doch schnell kristallisierte sich heraus, dass der Fokus der Arbeit von RAFS weiterhin auf den Plantagen und der Unterstützung der Bäuer*innen liegen sollte. RAFS würde sich nicht mit den wirtschaftlichen Herausforderungen des Kautschukmarktes beschäftigen. Die RRI sollte es also weiterhin als Bindeglied zwischen Anbauenden und Verarbeitenden geben, mit dem Ziel, neue Abnehmer:innen für den Agroforstlatex begeistern. Dadurch erhoffen wir uns, das Prämiensystem sowie die Arbeit von RAFS auf eine größere Anzahl an Bäuer:innen auszuweiten sowie weitere Forschung rund um das Thema Agroforstkautschuk zu fördern. 

RAFS und RRI würden in Zukunft also Hand in Hand arbeiten, um die Rahmenbedingungen für den Kautschukanbau in Agroforstsystemen im Sinne von Mensch und Umwelt zu verbessern. 

Woran hakt’s?

Eigentlich sollte sich an der Arbeitsweise der RRI nichts ändern, nur mehr Unternehmen ansprechen sollte sie. Die Frage war nun also, was dem Wachstum der RRI im Weg steht. 

Zwei Faktoren stachen uns direkt ins Auge. Zum einen sind unsere eigenen Kapazitäten begrenzt. Zum anderen hat das vertrauensbasierte System der RRI in einer Wirtschaft, die sich vorrangig auf den Papertrail und Zertifizierungen konzentriert, einen schweren Stand. Noch dazu kommt, dass einhorn Träger und Profiteur dieses Systems ist, uns also ein gewisser Interessenskonflikt unterstellt werden könnte. 

Da die Zusammenarbeit auf Augenhöhe sowie das gegenseitige Vertrauen ein essenzieller Teil unserer Unternehmensphilosophie ist und auch von unseren Partner:innen in Thailand und Malaysia immer wieder als wünschenswerte Besonderheit anerkannt wird, wollen wir darauf ungern verzichten. Dadurch war die logische Konsequenz, uns zumindest auf der Trägerseite aus der Gleichung zu ziehen. einhorn sollte nicht weiter Dreh- und Angelpunkt der RRI sein.

How to RRI 

Regenerative Rubber Initiative

Regenerative Rubber Initiative

 

Konkret heißt das, die RRI soll eine unabhängige Organisation werden, die weiterhin dieselben Werte hochhält, auf denen die bisherige Zusammenarbeit fußt. Und dafür brauchte es ein Konzept. Da diese Organisation ja nicht mehr nur einhornzigartig sein darf, sondern auch einen gewissen Appeal für Menschen außerhalb unseres Universums besitzen soll, haben wir uns Unterstützung von außen geholt.

Mit vier engagierten Studierenden der Unternehmensberatung 180 DC Munich haben wir verschiedene Rechtsformen, Standorte und Organisationsformen analysiert und sind zu einer überraschenden Erkenntnis gekommen. Um unseren Ansprüchen an demokratische Zusammenarbeit mit internationalen Stakeholdern sowie einem fixen, nicht profitorientierten Organisationszweck gerecht zu werden, eignet sich am besten ein Verein. 

Denn darin können wir alle Stakeholdergruppen, Kooperativen, Wissenschaft und Industrie gemeinsam an einen Tisch bringen und über die Zukunft der RRI Lieferkette entscheiden lassen – und zwar so, dass der Schutz von Mensch und Umwelt immer oberste Priorität genießt. 

Und nu?

An diesem Punkt unserer Latexodyssee befinden wir uns jetzt. Mit einem mehr oder weniger ausgearbeiteten Vereinskonzept in der Hand, treten wir wieder die Reise nach Südostasien an und hoffen, mit einer fertigen Satzung zurückzukommen. Aber diese Geschichte steht dann auf einem anderen Blatt – und zwar einem ganz bestimmten: Die neuesten Entwicklungen rund um die RRI könnt ihr fortan über den RRI LinkedIn Kanal verfolgen. 

Wir freuen uns über reichliche Zuschriften, Kritiken, Anmerkungen, aber natürlich ganz konkret auch über interessierte Organisationen und Privatpersonen, die sich über den Agroforstanbau in der Kautschukindustrie austauschen wollen oder selbst Teil der RRI werden möchten. Denn Kautschuk wird weiterhin vorwiegend in Monokulturen angebaut und zu teils ausbeuterischen Preisen eingekauft. 

Auch wenn wir für unsere eigenen Produkte einen wichtigen Schritt gemacht haben, lässt sich immer noch Einiges in unserer Lieferkette und am Markt verbessern. Und das geht am Besten gemeinsam!

Bis bald im Wald!

 

 

Illustration von Sandra Bayer – https://sandra-bayer.de/


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