Periodenarmut: Wieso die Menstruation unsere Gesellschaft spaltet

Periodenarmut: Bluten für Umme für alle!

Von Linda Rachel Sabiers

Das Thema ist emotional. Lass uns daher ganz nüchtern einsteigen und Zahlen für sich sprechen: Weltweit haben etwa 500 Millionen Menschen während ihrer Periode keine Möglichkeit, sich in einer sauberen Umgebung zu pflegen und keine finanziellen Mittel für Menstruationsprodukte wie Tampons, Binden und Menstruationstassen. Davon betroffen sind übrigens auch etwa 100.000 Obdachlose in Deutschland – dazu kommen zehntausende Menstruierende unter der Armutsgrenze, die Monat für Monat entscheiden müssen: Miete oder Menstruationsprodukte? Genau das ist Periodenarmut. 

A walk down period lane: „Haste mal’n Tampon?“

Meine Periode und ich feiern dieses Jahr Silberhochzeit: 25 Jahre bluten. 25 Jahre Tampons, Binden, Schmerzmittel, Wärmepflaster und Schokolade. Es war im Sommer 1997, ich habe bei einer Freundin übernachtet und bin in einer Blutlache aufgewacht. Ich fühlte mich gleichzeitig peinlich berührt und extrem cool, endlich zum Club der Blutenden zu gehören. Der Moment, als 13-Jährige eine Freundin im Unterricht nach einem Tampon zu fragen – majestätisch. Wir haben uns damals natürlich keine Gedanken darüber gemacht, dass wir uns jedes Mal den Wert eines doppelten Dosenpfandes von Faust zu Faust reichten. Weder im Klassenzimmer, noch auf dem Schulhof oder – Jahre später – der Clubtoilette. Solidarität unter Menstruierenden kannte keinen Preis. Die unausgesprochene Regel lautete: Wer ein Tampon besaß und es nicht brauchte, musste es auf Nachfrage verschenken. 

Mit der Periode verhält es sich wie mit dem Fall der Berliner Mauer, dem 11. September und dem ersten Tag des ersten Lockdowns: Die Menstruierenden unter uns können sich meistens ganz genau an die „Stunde Null“ erinnern. Doch nicht für alle ist dieser Moment einer Teenagerkomödie ähnlicher Start ins Erwachsenenleben. Denn eine Periode kostet – etwa 46 Euro im Monat, wie eine britische Studie des Rabatt-Portals Money Saving Heroes in einer Umfrage mit über 2.000 Frauen ermittelte.

Über 20.000 Euro von der ersten Periode bis zur Menopause. Wie kann das sein?

Jetzt denkst du dir vielleicht: Okay, Menstruationsprodukte sind teuer. Aber selbst eine Discounter-Packung Tampons oder Binden kostet nicht mehr als 4 Euro für fast 50 Stück. Damit hast du natürlich recht. Der Studie zugrunde liegen jedoch Faktoren, denen wir uns, was unsere Periode betrifft, oft nicht bewusst sind. Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen im Alter zwischen 13 und 51 Jahren jeden Monat menstruieren, dann sind das zusammengerechnet 456 Perioden. Oder 2.280 Tage. Oder ganze 6,25 Jahre. In dieser Zeit summieren sich die Kosten, ohne dass wir es direkt merken. Mit „wir“ meine ich alle, die 46 Euro im Monat aufbringen können, ohne auf wesentliche Lebensmittel verzichten zu müssen. Die genaue Rechnung der Studie sieht nämlich so aus:

14 Euro für Binden, Tampons, Cups und Slipeinlagen

  • 9 Euro für neue Unterwäsche (falls mal was ausläuft)
  • 5 Euro für Schmerzmittel
  • 10 Euro für Süßigkeiten
  • 8 Euro für Sonstiges (Wärmepflaster, Magazine, Hygieneartikel)

= 46 Euro im Monat, bzw. 552 Euro pro Jahr, bzw. über 20.000 Euro in 38 Jahren

Wenn Klopapier, Zeitungen und Stoffreste die einzige Lösung sind

Ich gebe zu, dass mir lange Zeit nicht bewusst war, wie real Periodenarmut auch in Deutschland ist. Sie ist nämlich kein Problem der sogenannten „Dritten Welt“, sondern betrifft auch Menstruierende, denen wir tagtäglich auf der Straße begegnen. Wir kennen ihre Namen nicht, wissen jedoch, dass sie sich mit Klopapier, Zeitungsschnipseln und Stoffresten zu helfen wissen. All das sind jedoch keine nützlichen Alternativen zu Tampons, Binden und Menstruationstassen, sondern menschenunwürdige, unhygienische Lösungen, die das Gesicht der Periodenarmut zu einer Fratze werden lassen. 

Periodenarmut ist nicht nur ein emotionales, sondern auch ambivalentes Problem: Denn während die Periode für Menstruierende ein immer und immer wiederkehrendes, oft belastendes Ereignis ist, findet sie im öffentlichen Diskurs kaum statt. Erst kürzlich erschien die erste Werbung für Binden, in denen das Blut nicht blau, sondern tatsächlich rot war. Wenn man bedenkt, dass die Hälfte der Bürger:innen dieses Landes blutet, können wir 1. von etwas so Natürlichem wie Blut nicht peinlich berührt sein und 2. uns nicht leisten, über Periodenarmut hinwegzusehen. 

Vom Luxusgut zum Lebensmittel: Was geschah am 7. November 2019?

Stichwort „blaues Blut“. Im November vor drei Jahren erwirkte eine Petition an den Bundestag, an der unter anderem auch Einhorn und das Magazin NEON beteiligt war, dass die Steuer auf Menstruationsprodukte von 19 auf 7 Prozent gesenkt wurde. Dieser bahnbrechende Tag hat jedoch nicht nur die Kosten auf Tampons, Binden und Menstruationstassen gesenkt – in der öffentlichen Wahrnehmung wurden Menstruationsprodukte vom „Luxusgut“ zum „Lebensmittel“ degradiert. Selten fühlte sich ein Downgrade so gut an. Es war an der Zeit, dass so essenzielle Produkte wie Hygieneartikel aus dem Luxussegment in die Lebensmittelabteilung verlagert werden. Denn Periode ist kein Luxus – sie ist Teil unseres Lebens. Vielleicht sollten wir uns den 7. November 2019 – im wahrsten Sinne des Wortes – ganz fett und ganz rot im Kalender markieren? 

Warum wir Menstruations-Musketier:innen werden sollten

Eine blutet für alle und alle bluten für eine. Wenn es uns um die Bekämpfung der Periodenarmut wirklich ernst ist, sollten wir Menstruierende an einem Strang ziehen. Denn der Zugang zu kostenlosen Menstruationsprodukten steht in direktem Zusammenhang mit demokratischen Werten wie Gleichstellung und Emanzipation. Der Artikel 11 des UN-Sozialpaktes bringt es noch direkter auf den Punkt: jeder Mensch hat einen Anspruch auf die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards. 

Wie schon bei der Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent, geht es darum, dass wir alle an einem Strang ziehen. Dass wir laut werden, wo zu lange geschwiegen wurde. Denn nur eine Gesellschaft, die offen anerkennt, dass Menstruationsartikel keine Luxusgüter, sondern Menschenrecht sind, wird sich dafür einsetzen, dass jede:r darauf zugreifen kann. Ohne auf Nahrung oder Würde verzichten zu müssen. Das ultimative Ziel ist natürlich, dass Periodenarmut kurz- oder mittelfristig beseitigt wird. 

Gut zu wissen: Gemeinnützige Vereine wie Social Period e.V. legen den Finger in diese blutende Wunde des öffentlichen Diskurses. Sie möchten obdach- und wohnungslosen Frauen den Zugang zu Menstruationsprodukten vereinfachen. Undine und Katja, die hinter diesem großartigen Projekt stehen, möchten die sozial ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Menstruationsprodukten mit Spendenboxen an öffentlichen Orten überwinden. Hast du Lust, dich zu engagieren? Hier erfährst du mehr und kannst direkt mitmachen!

Wie können wir alle Periodenarmut bekämpfen?

Soziales Engagement kann überwältigend sein. Doch – und ich riskiere jetzt mal eine Portion zu viel Pathos – auch vermeintlich kleine Gesten können das Leben vieler Menstruierender vereinfachen. Es muss nicht immer die Bundestagspetition oder die Demonstration auf öffentlichen Plätzen sein, die den Wandel vorantreibt. Wenn es um Menstruationsartikel geht, reicht manchmal schon das Bild des von einer Faust zur anderen wandernden Tampons aus dem Schulunterricht. Was können wir in unserem Alltag und unserem Mikrokosmos gegen Periodenarmut unternehmen?

  1. Information: 

    Google, YouTube, dein Lieblingsblog, Twitter, Instagram – viele interessante Meinungsmacher:innen und Expert:innen berichten über Periodenarmut. Um ein Problem angehen zu können, müssen wir erst einmal wissen, dass es existiert.
    (Optional: Channels aus eurem Pool einfügen, die ihr hier verlinken wollt)

  2. Empathie: 

    Verteile kleine Beutel mit ein paar Tampons und Binden an Obdachlose, die von Periodenarmut betroffen sind, in deiner Nachbarschaft oder auf dem Weg zur Arbeit. Es müssen gar nicht viele Worte folgen, wenn Taten so viel mehr wert sind.

  3. Gemeinschaft: 

    Kostenlose Menstruationsprodukte auf öffentlichen Toiletten in der Schule, an Universitäten und in Büros sind immer noch eine Seltenheit. Sprich das Thema gemeinsam mit Freund:innen und Kolleg:innen an. Genau für diese Themen gibt es AStA, HR und Schulleitungen.

  4. Aktivismus: 

    Bist du politisch interessiert oder aktiv? Schreib oder ruf deine lokalen Vertreter:innen an und mach sie auf Periodenarmut aufmerksam. Ob von unten nach oben – von Lokal- auf Bundesebene – oder andersrum: Politik wird von Menschen für Menschen gemacht. 

  5. Bewusstsein: 

    Manchmal reicht es auch nur, sich der eigenen Privilegien bewusst zu sein. Und wenn es um Periodenarmut geht, ist die Tatsache, dass sich ein Großteil der Menstruierenden bedenkenlos mit Tampons, Binden, Menstruationstassen, Schmerzmitteln und Schokolade versorgen kann, etwas ganz Großartiges.

 

Frau mit mittellangen dunklen Haaren die lächelt mit grüner Bluse Foto: Alexa Vachon

Unsere Gastautorin Linda Rachel Sabiers schreibt berührende Kurzgeschichten und Momentaufnahmen aus dem echten Leben. Als Inspirationsort dient ihr ihre Wahlheimat Berlin. Sie schreibt für das Stadtmagazin “Mit Vergnügen” und für die “NEON” aus der Sternfamilie.  Zwei ihrer Kurzgeschichten erschienen in den Anthologien „Schlaflos im Ellington“ des Berliner Ellington Hotels und in „Unbehauste“, ein Buchprojekt für die Flüchtlingsinitiative von Herausgeber Alexander Broicher und dem Nicolai Verlag. Ihr erreicht sie bei Instagram


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