Ach du meine Tüte!

Kondome in der Papiertüte Logo

“Können wir unsere gewohnte Chipstüte auch in umweltfreundlich?” Das war der Gedanke, der das Projekt “Neue Tüte” ins Rollen brachte. Aber bei umweltfreundlich sollte es nicht bleiben. ACH DU MEINE TÜTE! Schnell war klar: Der Druck muss besser werden, die Qualität der Verpackung ebenfalls, wir wollen kurzfristig auch mal andere Designs drucken uuuund: Wir wollen natürlich unser Markenzeichen “Chipstüte” behalten – quasi der heilige Gral und Wiedererkennungswert in jedem Kondomregal der Nation 😉

HUPS! Du wolltest gar nicht die ganze Story, sonder nur die hard facts? Ab hier lang!

Aber was ist eigentlich eine nachhaltige Verpackung?

Um ehrlich zu sein, wir hatten keine Ahnung, denn ein klar definiertes “nachhaltig” gibt es auch bei Verpackungen nicht. Was ich jetzt hier so lapidar runterschreibe, ist eigentlich eher Essenz der letzten zwei Jahre Projektentwicklung. Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Verpackung waren zum Beispiel die Themen wichtig die auch vom Runden Tisch für Ecodesign von Kunststoffverpackungen veröffentlich wurden…

Was ist eine nachhaltige Verpackung? Der Runde Tisch für EcoDesign zeigt diese Aspekte auf (Bildquelle).

Hier sind meine Antworten auf einige dieser Aspekte für die bisherige Tüte:

  • Das Material ist Papier mit einer Plastikfolie beklebt, damit die Tüte zugeschweißt werden kann
  • Wir wissen nicht was in den Druckfarben ist, noch woher das Material genau kommt
  • Wir haben teilweise 20% Ausschuss während der Herstellung, weil das Material nicht gut in der Maschine läuft
  • In welchen Mülleimer würdet ihr die Chipstüte stecken? Siehste!
  • Die Verpackung kann aufgrund des Materialmix von Papier und Plastik (“Verbundmaterial”) nicht recycelt werden, denn man bekommt die beiden Liebenden nicht mehr auseinander – ergo landen diese unschätzbaren Ressourcen, die landläufig leider noch ihr schmutziges Mülldasein fristen in der Verbrennungsanlage. Bestenfalls kann im Papier-Recycling das Papier abgelöst werden und die Folie wird verbrannt.

Es gab also Handlungsbedarf! Nachdem uns das klarer geworden ist (und man vergesse nicht die anderen Punkte Druck, Qualität, …) haben wir uns also auf die Suche gemacht.

Materialauswahl: Plastik? Bioplastik? Papier?

Die Anfänge unserer Suche nach einem nachhaltigen Ausgangsmaterial habe ich ja bereits im Mai 2017 im Blog “looks like paper but is plastic” beschrieben. Worth a look, wenn du mehr über Bioplastik erfahren willst!

Da wir nicht weg wollten von unserer Chipstüte, war klar, dass wir die Tüte irgendwie unten, oben und hinten “zukleben” müssen. Standardmäßig wird das über Hitze und Druck gemacht. Das heißt, zwei Plastikfolien liegen übereinander und werden dann verschweißt. Folglich brauchen auch wir ein Material, dass so verschlossen werden kann, wenn wir nicht gleich eine neue Verpackungsmaschine kaufen wollen (kleines Unternehmen und so…).

Plastik! Auf der Liste der Unwörter steht Plastik wahrscheinlich ziemlich weit oben. Jeder Supermarkt versucht Plastiktüten loszuwerden. Eine Bar, die etwas auf sich hält, hält Strohhalme aus Glas oder Metall für ihre Cocktails bereit. Der Anti-Plastik-Hype kommt nicht von ungefähr, denn ein Haufen Müll landet in unserer Umwelt und Plastik verschwindet eben nicht so schnell! Unser Blog “Plastiksuppe” fasst das Problem zusammen.

Unabhängig davon zeigen Ökobilanzen, dass Plastik häufig gar nicht so schlecht abschneidet. Allerdings wird der Aspekt des Littering (Plastik, das in der Natur landet) dabei konsequent nicht beachtet, obwohl bis zu 30% der Plastikverpackungen in der Umwelt landen! Zudem: Plastikfolien können heute kaum recycelt werden und landen so großteils – wie übrigens auch (kompostierbares) Bioplastik – in der Müllverbrennung (Quelle)! Das war auch der Grund dafür, dass wir keine recycelten Plastikfolien auf dem Markt finden konnten (mit Recycling meine ich an dieser Stelle aus dem Gelben Sack). Im Gegensatz dazu gibt es einige Bioplastik-Folien am Markt, allerdings sind dann die Themen Landverbrauch, Nahrungsmittelkonkurrenz, Chemikalieneinsatz, Gentechnik usw. auf der Agenda.

Bei der Beschäftigung mit Plastik und Bioplastik wurde uns aber auch klar: Neben einem diskutablen ökologischen Mehr- oder Minderwert, konnten wir uns nicht vorstellen, dass unsere Tüte aus Plastik/Bioplastik sein soll – rein haptisch und optisch.

Papier ist sicher nicht die eierlegende Wollmilchsau, aber Papier gibt es aus nachhaltigerer Produktion (z.B. Blauer Engel Recyclingpapier). Allerdings trennen die Deutschen eher Altpapier als Plastik und zudem kann das Altpapier auch zu einem höheren Prozentsatz tatsächlich recycelt werden! Also schon mal gute Karten! Aber Papier kann man eben nicht verschweißen.

Unsere Tütenvision nimmt Form an!

Eine Tüte aus nachhaltigem Papier, die nur an den Stellen mit Kleber bedruckt ist, an denen er wirklich notwendig ist, die zudem recycelt werden kann. Und mit nachhaltigen Druckfarben! Huiiii da flogen uns die Haare vom Horn!

Aber eins nach dem Anderen: Nachdem wir uns 2017 auf der Interpack so Einiges anhören durften (siehe Zitat unten), lief uns bei einem etwas deprimierten Bier ein Herr mittleren Alters über den Weg. Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht: “Ich kenn da jemanden!”, gab er uns seine Visitenkarte und einen Kontakt. Und so nahm das Ding seinen Lauf!

“Sie verpacken Ihre Kondome falsch, die gehören doch in Faltschachteln” ODER “Our new material, looks like paper, but is plastic” (Verpackungsexperten, 2017)

Der Kontakt war Anja Vogel, von der Papierverarbeitung Vogel. Sie kann Papier mit einem Lack bedrucken und damit das verschweißen möglich machen. Man kennt das zum Beispiel von Pudding- oder Pasta-Verpackungen. Keine Innovation – aber trotzdem geiler Scheiß!

Fly me to Torino (ääh the moon) und andere Tüten-Tests!

Damit die neue Tüte auch wirklich hält, was sie verspricht, muss neues Material natürlich ordentlich durch die Mangel genommen werden. Die Chipstüten-Reifeprüfung besteht nur Material, das ausreichend stabil ist. In unserem Fairstainability Report 2017, könnt ihr schon sehen, dass wir mehrere Materialien auf der Verpackungsmaschine getestet haben. Ein Transporttest über die Weltmeere zeigte zudem, dass wir so eine Papiertüte auch den rauhen Seebedingungen aussetzen können!

Mit diesem Köfferchen geht’s auf zum Test auf der Verpackungsmaschine in Torino!

“Geht nicht! Das haben wir schon immer so gemacht!”

Nun ging es ans Eingemachte: Anfang 2018 wurden die ersten Papiertüten auf Recyclingpapier gedruckt. Leeiiiiider – man kennt es vielleicht noch von alten Schulheften aus Recyclingpapier – die Tinte bzw. Druckfarbe zerläuft! Schwierig, schwierig, wenn man so ein tolles Design haben will und nicht super Öko daher kommen mag. Aber wir einhörner geben nicht auf: Recyclingpapier soll es sein – unbedingt – aber der Druck muss besser! Das Problem: Eigentlich ist das Recyclingpapier am Markt nur für ein anderes Druckverfahren geeignet (für die Experten unter euch: Offset- statt Tiefdruck). Aber “das war schon immer so” zählt für einhorn nicht! Es geht sicher, irgendwie! Der Küchentisch wird zum Papierlager umfunktioniert, das Designteam und das halbe Logistikteam eingespannt und unter allen möglichen Recycling-Papieren, die wir auf dem deutschen Markt bekommen konnten, wird ausgewählt. Unsere Top-Auswahl aus Druck- und Nachhaltigkeitssicht: Cyclus Offset (Arjowiggins), Charisma Brilliant (Steinbeiß) und Respecta 100 (Burgo)

Der Drucktest verrät uns: Mit allen dreien wirds wesentlich besser als beim ersten Test! YES! Der Kompromiss aus Nachhaltigkeit und Druckquali heißt Steinbeiß Charisma Brilliant – ein Recyclingpapier, das unter anderem mit dem Blauen Engel ausgezeichnet ist und – wie passend – im deutschen Glückstadt hergestellt wird 😉

Alte Tüte (links) und neue Tüte (rechts). Druckquali auf Recyclingpapier – es geht doch!

UND WO IST SIE NUN, DIE NEUE TÜTE? WIE ÖKO IST SIE DENN IM VERGLEICH? HIER LANG!

By the way: In der Papierindustrie hat sich durchgesetzt, dass Papier-Großhändler die Namen der Papiere der Hersteller einfach ändern. Das sorgt dafür, dass wir am Ende häufig das gleiche Papier unter anderem Namen auf unserer Liste hatten. Wenn euch das auch nervt – hier eine Liste von Papieren unter anderen Namen.

 


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